Impuls zum 30. August 2020
Von Ferdinand Kerstiens, (Marl), pax christi Münster
Mt 16,21-27
Von da an begann Jesus, seinen Jüngern zu erklären: Er müsse nach Jerusalem gehen und von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten vieles erleiden, getötet und am dritten Tag auferweckt werden. Da nahm ihn Petrus beiseite und begann, ihn zurechtzuweisen, und sagte: Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht mit dir geschehen! Jesus aber wandte sich um und sagte zu Petrus: Tritt hinter mich, du Satan! Ein Ärgernis bist du mir, denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.
Darauf sagte Jesus zu seinen Jüngern: Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es finden. Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt? Um welchen Preis kann ein Mensch sein Leben zurückkaufen? Der Menschensohn wird mit seinen Engeln in der Herrlichkeit seines Vaters kommen und dann wird er jedem nach seinen Taten vergelten.
(Einheitsübersetzung)
Zunächst ein Übersetzungshinweis: In der alten Einheitsübersetzung hieß es: „Weg von mir, Satan.“ In der neuen Einheitsübersetzung: „Tritt hinter mich, du Satan!“ Dieser Satz ist leider auch jetzt nicht genau übersetzt: „Weg von mir“ – hier steht im griechischen Text dasselbe Wort, mit dem Jesus die Dämonen austreibt. Petrus wird hier also den bösen Geistern gleichgesetzt, die den Menschen nicht frei lassen, sondern in ihre Macht zwingen. So bewahrt sich Jesus seine Freiheit dem Petrus gegenüber, der ihn von seinem Weg abbringen will. Dann folgt noch ein anderes Wort: „hinter mich". Dieses Wort steht bei den Jüngerberufungen: Kommt, folgt mir nach, hinter mir her. Der Satz Jesu lautet deswegen: „Weg von mir, du Satan, hinter mich“, wie es sich für einen Jünger gehört. Hier wird das Widersprüchliche, oder besser das Barmherzige im Verhalten Jesu deutlich. Er ruft Petrus, den Fels und den Satan, wieder in seine Nachfolge. Ich beziehe mich im Folgendem auf den ersten Teil des heutigen Evangeliums.
Das heutige Evangelium gehört mit dem vom vergangenen Sonntag ganz eng zusammen. Deswegen möchte ich den Schluss des letzten Evangeliums in Erinnerung rufen. Da hieß es: „Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen.“ Dieser Satz ist tausendfach in der katholischen Kirche zitiert worden. Er gilt als Begründung des Papsttums und steht deswegen in goldenen Lettern in der Kuppel von St. Peter in Rom. „Weg von mir, du Satan, hinter mich!“ Diesen Satz findet man kaum irgendwo in theologischen Büchern oder kirchlichen Verlautbarungen zitiert, schon gar nicht in der Peterskuppel.
Die unterschiedliche Gewichtung dieser beiden Sätze Jesu spiegelt die ganze Schieflage in der Kirchenlehre und in der Kirchenwirklichkeit, die viele Christinnen und Christen heute als besonders belastend erleben. Die Selbstherrlichkeit des Papsttums, die abgehobene Fülle seiner Macht und seine Stellung im Kirchenrecht liegen hier begründet. Die Irrtümer der Päpste, ihre Schuld an vielen Fehlurteilen, werden weitgehend verschwiegen. In der Kirchengeschichte, wie ich sie gelernt habe, kam das Versagen der Päpste und der Kirche als ganzer nicht vor.
Die Kirche und die Christinnen und Christen können – so lehrt uns das ganze Kapitel 18 bei Matthäus „Fels und Satan – hinter mir her!“- auch offen in Bekenntnis und Umkehr mit der eigenen Schuld umgehen, so zum Beispiel mit den sexuellen Verbrechen an Kindern und Jugendlichen durch Priester und Ordensleute. Lange hat man das verschwiegen und vertuscht, nicht an die Opfer gedacht. 75 Jahre hat es gedauert, bis die heutigen Bischöfe sich zum Schuldigwerden ihrer Vorgänger im Zweiten Weltkrieg bekannt haben. Die „Kirche“ durfte nicht durch Kritik von außen und Selbstkritik „beschmutzt“ werden.
Die katholische Kirche gleicht ja heute noch in vielen Zügen mehr einem absolutistisch regierten Staat als einer Nachfolgegemeinschaft Jesu. Papst Franziskus will es wohl anders, so seine Worte zur Dezentralisierung, Synodalisierung und stärkere Ortsbindung kirchlicher Strukturen, aber er traut sich nicht, die Konsequenzen daraus zu ziehen, siehe sein Schweigen zu den Forderungen der Amazonassynode und seine Bestätigung der neuesten römischen Verfügung mit Antworten von vorgestern zu Fragen der Zukunft von Gemeinden und Kirche.
Da wundern mich die großen Austrittszahlen aus der katholischen Kirche nicht. 270.000 waren es im letzten Jahr in Deutschland. Wahrhaftig, es ist dringend nötig, über das Papsttum und die ganze Struktur unserer Kirche neu nachzudenken. Es geht darum, das Papsttum, das ganze hierarchische System, den Klerus wieder in Kirche und Gemeinde zu integrieren. Dann ist auch Platz für verheiratete Priester und Frauen in allen kirchlichen Ämtern.
Matthäus stellt bewusst beide Sätze nebeneinander in einem unlösbaren Zusammenhang. Petrus ist der Fels und der Satan, und so hält Jesus an ihm fest. Die erste Christenheit hat Petrus nicht glorifiziert. Sie hat auch weiter von seiner Schuld erzählt, von seinem Versagen. Petrus stellt sich dem Leidensweg Jesu in den Weg. Er denkt die Gedanken der Menschen, nicht die Gedanken Gottes. Wo denken wir die Gedanken der Menschen, nicht die Gedanken Gottes?
Ich finde es großartig von der jungen Kirche, dass sie beides überliefert hat. Sie hatte die Kraft, auch das Versagen Petri nicht zu verschweigen. Die endgültige Formulierung dieser doppelten Stelle von Bekenntnis und Versagen Petri und den entsprechenden Worten Jesu ist erst in der Zeit nach der Auferstehung gefunden worden. Sie ist ja kein Protokoll, das die übrigen dabei anwesenden Jünger aufgeschrieben haben. Es ist das Bekenntnis der jungen Jerusalemer Gemeinde zu ihrem Hauptzeugen, dem Fundament ihrer Gemeinde. Das ist sein einmaliger Dienst und Auftrag, in dem er keine „Nachfolger“ hat. Erst Jahrhunderte später haben sich die römischen Bischöfe auf ihn bezogen und damit ihre Macht über die ganze Kirche ausgebaut.
In dem Lebensweg des Petrus und in den Worten Jesu zu ihm liegt eine tröstliche Botschaft auch für uns. Petrus wurde trotz seiner Schuld nicht ausgewechselt, sondern immer wieder neu bestätigt. Dann wird Gott auch uns nicht auswechseln. Deswegen „dürfen“ wir schuldig werden, ohne dass Gott uns verwirft, wenn wir – auch dafür ist Petrus ja ein Beispiel – nicht an unserer Schuld festhalten, sondern sie bereuen und wieder neu seine Wege zu gehen versuchen „hinten ihm her“, auch wenn wir uns vorher als „Satan“ ihm mit seiner Menschenfreundlichkeit und Barmherzigkeit in den Weg gestellt haben, der ihn bis zum Kreuz führte, so auch uns in seiner Nachfolge.
Das gilt auch für die Kirche Jesu, für alle christlichen Kirchen, für ihre Amtsträgerinnen, Amtsträger und Mitglieder. Sie alle sind zusammen ein Haus voll Hoffnung und voll Schuld. Sie sind begleitet von der Verheißung Jesu, dass die Pforten der Hölle, die Todesmächte, sie nicht endgültig überwältigen. Je ehrlicher die Kirche darauf vertraut, desto glaubwürdiger wird sie für die Menschen. Auch die Kirche ist „simul peccator et justus“ „zugleich sündig und gerechtfertigt“, wie das Luther von dem einzelnen Gläubigen sagt.
Wenn wir dies anerkennen, dann können wir gelassener und ehrlicher mit der Schuld umgehen, mit der eigenen Schuld und mit der Schuld der Kirche. Wir brauchen nichts zu vertuschen. Wir können es bekennen und getrost darauf vertrauen, dass Gott weder uns noch seine Kirche verwirft. In diesem Sinn gelten die Worte Jesu zu Petrus: „Fels und Satan“ auch heute. Wenn auch das Papsttum das für sich annimmt, dann brauchte es nicht so viel Selbstrechtfertigung, nicht so viel Macht über die Gewissen, nicht so viel Herrschaft über Menschen. Wir müssen den Papst und die ganze hierarchische Struktur unserer Kirche wieder in die sündig-heilige Kirche Jesu Christi integrieren, die wir alle sind. Das ist wichtig auch für die Ökumene, für die Zusammenführung aller christlichen Kirchen im Geiste Jesu. Dann ist der Papst mit uns und wie wir auf dem Wege, dann wird er nicht von oben herab urteilen und verurteilen, sondern mit uns zusammen den richtigen Weg suchen und uns dabei „ermutigen und stärken“, wie es Jesus dem Petrus aufgetragen hat (Lk 22,32).
Was hat Gott im Sinn? Was sind Menschengedanken, die dem im Wege stehen?
Erich Zenger hat auf den Psalm 82 aufmerksam gemacht, der die Kriterien für Gottes Gedanken nennt:
Psalm 82
Gott steht auf in der Gottesversammlung,
inmitten der Götter hält er Gericht.
Wie lange wollt ihr noch ungerecht richten
und die Frevler begünstigen?
Verhelft zum Recht den Geringen und Waisen,
dem Elenden und dem Bedürftigen schafft Gerechtigkeit!
Befreit den Geringen und Armen,
entreißt sie der Hand der Frevler!
Sie erkennen nichts und verstehen nichts,
sie wandeln umher in Finsternis.
Alle Grundfesten der Erde wanken.
Ich habe gesagt: Ihr seid Götter,
ihr alle Söhne des Höchsten.
Doch nun sollt ihr sterben wie Menschen,
sollt stürzen wie einer der Fürsten.
Steh auf, Gott, und richte die Erde!
Denn alle Nationen werden dein Erbteil sein.
Verbindungen als Fürbitten
Wir verbinden uns vor Gott mit Papst Franziskus, der im Zwiespalt lebt zwischen dem Evangelium für heute und den alten Machtstrukturen der Kirche.
Wir verbinden uns mit den Christinnen und Christen im Amazonasgebiet und ihrer Hoffnung auf eine lebendige Kirche mit dem Herrenmahl in ihrer Mitte als Quelle des Lebens und Kraft für den Glauben.
Wir verbinden uns mit den Frauen, die aufstehen in der Kirche und ihre Berufung als Hälfte des priesterlichen Gottesvolkes wahrnehmen wollen.
Wir verbinden uns mit den Opfern sexueller Gewalt in der Kirche, mit den Opfern geistlicher Gewalt und Unterdrückung, und fordern mit ihnen Recht und Gerechtigkeit.
Wir verbinden uns mit den Opfern unseres neoliberalen Wirtschaftssystems, das „die Reichen immer reicher macht auf Kosten der Armen, die immer ärmer werden“ (Lateinamerikanische Bischofsversammlung von Puebla 1975, Nr. 30).
Wir verbinden uns mit allen unschuldigen Menschen, denen vom menschengemachten Hunger und Krieg das Leben geraubt wird.
Wir verbinden und mit all diesen Menschen und bitten (mit der Pfingstsequenz):
Was befleckt ist, wasche rein,
Dürrem gieße Leben ein,
heile du, wo Krankheit quält.
Wärme du, was kalt und hart,
löse, was in sich erstarrt,
lenke, was den Weg verfehlt.
Gib dem Volk, das dir vertraut,
das auf deine Hilfe baut,
deine Gaben zum Geleit.
Lieder
GL 481 Sonne der Gerechtigkeit
GL 422 Ich steh vor dir mit leeren Händen
GL 458 Selig seid ihr, wenn ihr einfach lebt